Das neu gegründete Ärztenetz in der Selbstzahlermedizin will den „verkannten Versorgungsbereich“ in ein besseres Licht rücken. Wie das klappen soll und welche Rolle dabei die neue GOÄ spielt, darüber sprach der änd mit Verbandsvorstand Dr. Norbert Panitz.

Um Verantwortung für einen „verkannten Versorgungsbereich“ zu übernehmen, hat sich vor gut einer Woche das ,Ärztenetz in der Selbstzahlermedizin’ (ÄNEIS) gegründet. „Der Verband wird als Mitgliederverband die gesundheitspolitischen Anliegen innerhalb der Selbstzahlermedizin vertreten“. Ein Ziel ist, mangelnder Information und Transparenz entgegenzuwirken, die der Selbstzahlermedizin in der Öffentlichkeit immer wieder unterstellt werde.
„Wir sind dabei, die Strukturen in der Selbstzahlermedizin auf- und auszubauen, und auf diesem gemeinsamen Weg werden sich unsere Kolleginnen und Kollegen uns anschließen“, ist Verbandsvorstand Dr. Norbert Panitz überzeugt. Der änd sprach mit ihm über die Pläne des Verbands und was er vom aktuellen Streit um die GOÄ-Verhandlungen hält.

Herr Dr. Panitz, Ihr Verband will beim Thema Selbstzahlerleistungen dem Mangel an Information und Transparenz entgegentreten. Was stört Sie hier in der öffentlichen Debatte besonders?

Wo bitte schön findet denn eine Debatte über die Selbstzahlermedizin statt? Es gibt nur zwei nennenswerte öffentlich wahrnehmbare Reaktionen: IGeL-Bashing dort und IGeln im stillen Kämmerlein hier. Da ist es ein Leichtes, IGeln als Arbeiten im Graubereich zu diskreditieren – und damit die ärztliche Tätigkeit gleich mit in diese Diskussion zu ziehen. Dies dann nach dem Motto: „Ihr Arzt ist an der normalen Tätigkeit gar nicht mehr interessiert – er will Ihnen als Patient nur den ‚IGeL‘ verkaufen.“ Die Selbstzahlermedizin wurde so unter dem Label „IGeL“ von den Gegnern okkupiert und öffentlich desavouiert. Dabei haben die Ärzte gar nicht gemerkt, dass die Kritiker nur mit Wasser kochen. Der IGel-Monitor ist, so eine Analyse der Ärztlichen Gesellschaft für Gesundheit und Prävention ÄGGP, ein Humbug. Er ist in sich nicht schlüssig, hat nur wenige Leistungen überhaupt unter die Lupe genommen und dies noch nicht einmal logisch. Aber alle Welt fällt darauf herein. Ein Lehrbeispiel, wie man die öffentliche Meinung beherrschen kann.

Die Selbstzahlerleistungen haben nicht den besten Ruf. Durch die Medien geistern regelmäßig Geschichten von Patienten, die sich über den Tisch gezogen fühlen. Wer trägt Schuld am schlechten IGeL-Image?

Die Frage ist falsch eingeleitet: Die Selbstzahlermedizin ist in ihrem Ruf nicht beschädigt. Der IGel hat keinen guten Ruf und ist als Marke erledigt. Wir sprechen gar nicht mehr davon. Der entscheidende Fehler ist die fehlende innere Haltung der Ärzte dazu und – auch daraus als Folge – das unterlassene ärztliche Management innerhalb der Selbstzahlermedizin. So wurde IGeL zum Schlagwort für eine „ überflüssige Medizin“ und zum Ausgangspunkt eines Zersetzungsprozesses mitten in der Domäne ärztlicher Heilkunst. Mein Versuch bereits im Jahr 2002 über eine IGeL- Zertifizierung durch die Ärztekammer ordnend einzuwirken, stieß auf Desinteresse.

Da ist der Widerstand gegen IGeL besser organisiert gewesen. Wir setzen dem etwas entgegen und haben nun ärztlich verantwortete Strukturen im Bereich der Selbstzahlermedizin geschaffen.

Mit welchen Maßnahmen will Ihr neuer Verband für mehr Transparenz sorgen?

Ganz einfach, in dem wir Transparenz in der Leistungsdarstellung und in der Leistungserbringung herstellen – dem Patienten zur Orientierung und dem Arzt als Leitfaden, wie er offen dem Patienten gegenübertritt. Nur Leistungen, die unter dieser Maßgabe angeboten werden, heißen ‚Freie Gesundheitsleistungen‘. Der Patient soll sich frei für eine solche entscheiden können und der Arzt muss davon befreit werden, die Selbstzahlermedizin wie verdruckst über den Tresen zu reichen.

Wie wollen Sie das konkret anstellen?

Wir stärken Patienteninformationen, die ihn auch vor den „Verkäufern“ unter den Ärzten wappnet, und sorgen dafür, dass Selbstzahlermedizin selbstverständlicher und vor allem akzeptierter Bestandteil im ärztlichen Leistungskanon ist. In vielen Fachgruppen haben Selbstzahlerleistungen einen enormen Stellenwert erreicht – hier sind deren Berufsverbände sicherlich auch unsere Koalitionspartner.

Zur Transparenzerstellung nutzen wir das Internet und dazu nutzen wir unsere Organisationsstruktur. 80 Prozent der Erkrankten suchen bereits im Netz nach Informationen. Mit der ÄGGP haben wir die Plattform geschaffen, die u.a. mit wiki-medi.de die notwendige Leistungsbewertung herstellt und die notwendigen Informationen auch für den Patienten verfügbar macht. Als Grundstruktur haben wir Evidenzkriterien entwickelt und werden auch dem Patienten die Möglichkeit geben, die FGL zu bewerten.

Patienten und Ärzte können diese ca. 450 Leistungen umfassende, sicherlich noch nicht vollständige Enzyklopädie auf der Seite der ÄGGP (www.aeggp) und ÄNEIS (www.äneis.de) einsehen. Mit unseren Patienten verlassen wir damit auch die Problemzone IGeL und befinden uns in einer ärztlich verantworteten und nach Qualitätskriterien geordneten Welt der Freien Gesundheitsleistungen, wie ÄNEIS sie nennt.

Selbstverständlich haben Patienten nach Inanspruchnahme dieser Leistungen die Möglichkeit auf einer Skala von 1 bis 5 die Leistungen zu bewerten, die Leistungen und nicht die ärztlichen Anbieter wie auf anderen Portalen. Auf Reiseportalen werden ja auch Service und Einrichtungen eines Hotels bewertet und nicht das schlechte Wetter oder die Laune der Mitreisenden.

Sie rechnen damit, dass in den kommenden Jahren weitere medizinische Leistungen dem Rotstift zum Opfer fallen. An welche Leistungen denken Sie da?

Das ist nicht unsere, das ist nicht die ärztliche Aufgabe. Was wir aber mit FGL schaffen, ist ein Auffangbecken für die Leistungen, die die Politik und die Kassen über kurz oder lang aus dem Leistungskatalog streichen werden. Sicherlich liegen dazu Pläne schon in den Schubladen. Natürlich werden Politik und Kassen die gestrichenen Leistungen als medizinisch nicht notwendig brandmarken. Das ist aber nur Rhetorik. Diese Leistungen werden dann als FGL angeboten. Und die Kassen und Politik täten gut daran, hier mit den Ärzten zusammenzuarbeiten, die die Selbstzahlermedizin organisieren, wenn sie vermeiden wollen, dass das gute deutsche Gesundheitssystem nach der Priorisierungswelle nur noch als abgespeckter Notkatalog dasteht. Sie sind auch gut beraten, den Selbstzahlerbereich nicht zu diskreditieren. Denn die Patienten werden schlecht geredete Leistungen dann nicht in Anspruch nehmen – und der Politik den Vorwurf machen, nur den Leistungskatalog zusammengestrichen zu haben. Politik und Kassen dürfen sich nicht selbst alternativlos machen. Daher ist unsere Initiative auch eine Plattform der Zusammenarbeit. Deshalb sollte der Kampf gegen diesen Bereich der Medizin eingestellt werden und vielmehr gemeinsam an dessen Verbesserung gearbeitet werden.

Herr Dr. Panitz, ein besonderes Ziel sehen Sie in der Förderung innovativer Medizinprodukte in der Versorgung. Wie stellen Sie sich diese Förderung konkret vor? Können Sie das an einem Beispiel veranschaulichen?
Beispiel Digital Health. Viele tausend Medizin-Apps gibt es bereits. Nicht alle sind sinnvoll, aber sehr viele können der Verbesserung der Versorgung dienen. Das haben zahlreiche Studien gezeigt. Nach dem Versiegen der Fördermittel ist dann aber meist Schluss mit der schönen neuen App-Welt. Die Übernahme der Kosten durch die Krankenversicherungen sind die absolute Ausnahme. Die Finanzierung dieser Innovationen durch die Solidargemeinschaft ist nicht machbar. Es gibt hier nur zwei Möglichkeiten: entweder, wie bisher, die vielen medizinischen Start-Ups zu drängen ins Ausland zu gehen, oder daraus Freie Gesundheitsleistungen zu machen. Im Zweifelsfall überlässt man es den Patienten darüber zu entscheiden. ÄNEIS wird sich dafür einsetzen, dass Deutschland ein Land der Ideen bleiben wird.

Ein weiterer Schwerpunkt der Verbandsarbeit soll der Datenschutz sein. Wie sicher sind Patientendaten im Zeitalter der Digitalisierung überhaupt noch?

Datenschutz ist Vertrauensschutz und den sehen wir als zentralen Bestandteil ärztlicher Heilkunst an, eben auch im Internet. Dabei bildet spiegelt sie die 1:1-Situation im Sprechzimmer z.B. in der Videosprechstunde am Bildschirm einigermaßen wider.

Somit bestehen eigentlich hervorragende Voraussetzungen für eine personalisierte Medizin, wenn es gelänge einen hohen Datenschutz zu gewährleisten. An den technischen Bedingungen wird gearbeitet. Ich bin zuversichtlich, dass wir recht bald uns mit unseren Patienten über das Smartphone z.B. über eine Medikationsfrage verständigen können. Es sind die Patienten, die das erzwingen werden, wenn wir Ärzte nicht wollen. Das umfassende Recht auf Information haben sie ohnehin.

Und wie bewerten Sie in diesem Zusammenhang das E-Health-Gesetz der Bundesregierung?

Die Start-Up-Szene insbesondere in Berlin hat eine Dynamik entwickelt, die vom E-Health-Gesetz nicht aufgegriffen wird. Dies kann den Abstand zu technologisch weiterentwickelten Ländern noch vergrößern. Die Frage, wie die Politik den Transfer von digitalen Medizinprodukten in die medizinische Versorgung unterstützen will, hat die Regierung nicht beantwortet. Sie will es dem freien Markt überlassen, übersieht dabei, dass es diesen aber im Gesundheitswesen nur rudimentär gibt. ÄNEIS will sich in diese Debatte und Entwicklung einmischen und Ansprechpartner sein.

Wie positioniert sich ÄNEIS zur neuen GOÄ?

Wir haben einen klaren Standpunkt: Was haben Selbstzahlerleistungen, die frei zwischen Patient und Arzt vereinbart werden, mit welcher Art von finanzieller Zwangsjacke auch immer zu tun? ÄNEIS sagt: „Nichts“.

Warum nicht?

Selbstzahlermedizin ist frei, Selbstzahlermedizin ist eben in keinem Katalog gelistet, was in der Natur der Sache liegt. Warum sollen wir uns Regeln von Katalogen unterwerfen, aus denen unsere Leistungen gestrichen werden? ÄGGP und ÄNEIS kümmern sich um diese Leistungen. Warum sollen wir uns in ein Korsett zwängen lassen. Wir sind selbstredend kein Teil des Kassensystems – weder der GKV, noch der PKV.

Und was heißt das nun für Ihre Positionierung zur GOÄ?

Warum soll sich ÄNEIS in der verkorksten GOÄ-Debatte positionieren, die ja scheinbar auf eine EBM-isierung hinausläuft? Warum sollen wir mitdiskutieren und den Eindruck damit heraufbeschwören, wir seien Teil des Systems? Unsere innere Haltung sagt dazu „Nein“.

Wir wissen natürlich auch, dass wir Teil des Systems insofern sind, da die GOÄ automatisch für alle Leistungen als „Honorarmaßstab“ gilt, die nicht im Leistungskatalog gelistet sind. Wir als Selbstzahlerärzte sind gesetzlich verpflichtet, nach GOÄ abzurechnen. Deshalb sehen wir als ÄNEIS die gegenwärtige GOÄ-Entwicklung als äußerst gefährlich an. Was wird alles in einen neu konstruierten einfachen GOÄ-Satz gepackt, der zwar mehr wert sein soll? So ist das am Anfang immer: Man lockt, und dann wird aus dem angeblich „dickeren“ oder „robusteren“ GOÄ-Satz karges EBM-Honorar. Von der Gefahr der Analogzifferstreichung gar nicht zu reden. Gefährlich ist diese Diskussion auch, weil die hinter einem GOÄ-Satz liegende Vergütungshöhe künftig eine Leistungsmengenbewertung unterliegen soll. Diese soll jetzt institutionalisiert werden, das heißt die Vergütungshöhe soll im schlimmsten Falle an den Leistungsabruf angepasst, sprich abgesenkt werden.

Dies träfe dann auch die Selbstzahlermedizin?

Dies betrifft dann auch die Selbstzahlermedizin – das wäre dann ein unerhörter Automatismus: Wir stehen außerhalb des Systems, aber unterliegen seinen unsäglichen Mechanismen. Wir von ÄNEIS müssen zweierlei verhindern: erstens, dass die Selbstzahlermedizin in irgendeiner Weise in die Leistungsbewertung rutscht und zweitens in einem Abwertungsautomatismus verhaftet wird. Von daher stehen wir auf der Seite derer, die eine EBM-isierung der GOÄ verhindern wollen.

Künftig wird dies zu den strategischen Fragen von ÄNEIS gehören: Wie setzen wir eine freie Leistung auch in eine freie Honorierung um? Wie gehen wir mit dem möglichen Instrument der Zusatzversicherung um, falls Leistungen aufgrund der Priorisierung aus dem Katalog fallen, aber die Kassen dies dann zu „ihrem Geschäft“ machen wollen? Eine Grundvoraussetzung wird sein, dass wir die Freien Gesundheitsleistungen so etablieren, dass sie nicht als Eldorado für Honorar-Raubritter gebrandmarkt werden können, sondern als faire, angemessen bezahlte und daher auch akzeptierte Leistung. Wenn wir die Selbstzahlermedizin transparent in der Leistungsdarstellung und der Leistungserbringung etablieren, setzen wir Maßstäbe und können einem Zusatzversicherungs-„Unwesen“ einen Riegel vorschieben. Das muss im Interesse aller Selbstzahlerärztinnen und -ärzte liegen. Fangen wir jetzt an – gemeinsam!

Das Interview führte Marco Münster vom änd.

Quelle: https://www.aend.de/article/163934