Interview mit Norbert Panitz beim AEND (Ärztlicher Nachrichtendienst). Der erste Vorsitzende der ÄGGP und Begründer von free-med und ÄNEIS, dem Ärztenetz in der Selbstzahlermedizin, steht Rede und Anwort in Sachen IGeL.

Der AEND (Ärztlicher nachrichtendienst) veröffentlichte am 23.08.16 folgendes Interview:

Nicht gerade rosige Zeiten für die Verteidiger der Selbstzahlermedizin: Wilde Schlagzeilen über die „Abzocke beim Arzt“ sägen am Image der Individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL) – und auch Krankenkassen sowie Politiker nutzen jede Chance, die Selbstzahlerleistungen in ein kritisches Licht zu rücken. Wie kann die Diskussion über IGeL wieder auf ein sachliches Niveau kommen? Der änd unterhielt sich darüber mit Dr. Norbert Panitz, der im vergangenen Jahr das „Ärztenetz in der Selbstzahlermedizin“ (ÄNEIS) ins Leben gerufen hatte.

Herr Dr. Panitz, Sie haben das ,Ärztenetz in der Selbstzahlermedizin’ gegründet. Ziel war es nach Ihren Aussagen, mangelnder Information und Transparenz entgegenzuwirken, die der Selbstzahlermedizin in der Öffentlichkeit immer wieder unterstellt werde. Vermutlich haben Sie nicht mit einer solchen Hetzjagd der Medien auf die sogenannten „IGeL“ gerechnet, wie wir sie in den vergangenen Wochen erlebt haben. Wie bewerten Sie die öffentliche Berichterstattung über das Thema?Hetzjagd ist ein durchaus zutreffender Begriff für die hinter dem Schleier von Wissenschaftlichkeit versteckte Demagogie des IGeL-Monitors. Zur Strecke gebracht werden insbesondere solche Selbstzahlerleistungen, die in das Selbstverständnis der Krankenkassen und die Systematik ihrer Vorstellungen von Gesundheitswirtschaft nicht passen und vor allem deren Monopolstellung im Gesundheitssystem widersprechen.

Dabei ist den Machern des IGeL-Monitors jedes Mittel offensichtlich recht. Sie diskreditieren Selbstzahlerleistungen auch auf die Gefahr hin, dass dieser wichtige Leistungsbereich den Patienten verloren geht. Sie behindern mutwillig Zukunftsbranchen wie Telemedizin, eHealth, regenerative Medizin oder genetische Medizin. Sie verkennen, dass sie gerade dabei sind den Ast abzusägen, auf dem sie sitzen: Wenn zum Beispiel Geschäftsführer und Diplom-Ökonom Dr. Peter Pick vom Igel Monitor zynisch den Ärzten Volkssport bei der Erbringung von Selbstzahlerleistungen unterstellt, erlaube ich mir zu sagen, dass er der Totengräber einer innovativen Medizin ist.

Der „IGeL-Monitor“ des Medizinischen Dienstes des GKV-Spitzenverbandes (MDS) tauchte in der Tat in diversen Zeitungsberichten auf. Haben Sie sich mit der Online-Plattform schon einmal ausführlich auseinandergesetzt? Wie lautet Ihr Urteil?

Das habe ich – und auch in den änd-Foren dazu Kommentare abgegeben. Die Kurzform: Allein die Empfehlungen, wie tendenziell negativ oder unklar, sind als Aussage einer scheinbar wissenschaftlichen Recherche tendenziell nonsens. Sie verstören mehr als sie nutzen. Als Maßnahme zur Sicherung von Qualität und Transparenz ist das eher armselig. Er dient nur der Aburteilung von IGeL. Damit erfüllen Pick und Co in erster Linie wohl ihre Dienstaufgaben.

Die Krankenkassen bringen oft den Vorwurf, dass die Ärzte über Nutzen und Risiken der von Ihnen angebotenen Selbstzahlerleistungen nicht ausführlich genug aufklären. Hand auf Herz: Machen viele Kollegen da wirklich zu wenig?

Ja, vermutlich. Sonst hätte ich nicht den Verbund „Gesundheit plus“ mit meinen Kollegen gegründet. Dr. Merder, der Vorsitzende von ÄNEIS und ich waren viele Jahre Vorsitzende der QS Kommission der Kassenärztlichen Vereinigung in Berlin. Schon vor Jahren haben wir die fehlende Zuständigkeit der KV beklagt. Aus dem Dilemma käme die Ärzteschaft heraus, wenn Sie die Online Enzyklopädie der ÄGGP als Informationsbasis für ihre Patienten nutzt, sei es im Ausdruck der Beschreibungen der Freien Gesundheitsleistungen für Patienten oder in Hinweisen auf die Existenz des Patienten-Informationsportals free-med im Internet oder auch in der eigenen Mitarbeit an der Enzyklopädie. Jede Form der Nutzung ist sowohl für Patienten grundsätzlich als auch für Ärzte zum jetzigen Zeitpunkt kostenfrei. Die Autorisierung geschieht durch Fachärzte oder Berufsverbände und Fachgesellschaften. Aber auch die Bewertungen der Leistungen durch die Patienten schaffen ein Qualitätskriterium. Im Laufe der Zeit führt das zu einem Informations- und Legitimationsstand der Selbstzahlerleistungen, womit sie wieder in das richtige Licht gestellt werden können.

Die SPD denkt nun offenbar laut über ein Gesetz nach, dass den Umgang mit Selbstzahlerleistungen in den Praxen regeln soll. Die Rede ist von verpflichtenden Aushängen in den Praxen, verpflichtenden Behandlungsverträgen oder einem „Marktwächter Gesundheit“. Könnten Sie sich in dem Zusammenhang ein sinnvolles Gesetz vorstellen?

Damit erhoffen sich hier Kritiker offensichtlich einen Effekt, wie auf der Zigarettenschachtel der Hinweis “Rauchen tötet“. Das Schlimme ist, dass Pick die Ärzte als Volksvergifter hinstellt. Diese Idee ist krank. Aber was ich mir vorstellen kann ist, dass den Argumenten des Igel-Monitors auf unserer Online-Enzyklopädie ebenfalls Platz eingeräumt wird, wie die Gegendarstellungen selbstverständlich der Berufsverbände oder der Fachgesellschaften. Die Liste der ÄGGP sollte aber selbstverständlich auch auf IGeL-Monitor erscheinen. Wir geben ja auch Hinweise zu den Alternativen im GKV System. Wir geben Patienten auch die Möglichkeit die Leistungen, allerdings nicht die Ärzte, zu bewerten. Das halte ich für optimale Information.

Ist das Kind nicht schon in den Brunnen gefallen – oder sehen Sie noch eine Chance, das Ansehen der Selbstzahlermedizin in der Öffentlichkeit zu verbessern?

Das Halali auf die IGeL ertönt ja alle paar Wochen aufs Neue. Anstatt sich in die Anonymität der Praxen zu flüchten, sollten sich die Ärzte konfrontativ mit dieser Kassen-Politik auseinandersetzen. Bei der Bewältigung der Zukunftsaufgaben von eHealth und Telemedizin werden die Kassenstrategen bald erkennen, dass die Selbstzahlermedizin in vielfacher Hinsicht gebraucht wird. Sie ist Marktplatz für Innovationen, sie ist Stellplatz für Leistungen, die allmählich ausrangiert werden, sie ist Podestplatz für hervorragende Leistungen, die das System nicht mehr bezahlen kann und sie ist Experimentierfeld für Apps und digitale Technologien, die in der Planwirtschaft der Kassen keine Zukunft hätten.
Für das einstige Deutschland als Apotheke der Welt könnten diese aber in wirtschaftlicher Hinsicht unbezahlbar sein. Und nicht zuletzt ist schließlich ärztliche Kompetenz in der Gesundheitswirtschaft auch ein Handelsgut und der niedergelassene Arzt ein Technologiepartner.
Ich sehe also gute Chancen für eine innovative, technologieaffine und dem digitalen Wandel aufgeschlossene Ärzteschaft. Wir sollten uns an den zahnärztlichen Kollegen ein Beispiel nehmen.